Ludwig von Mises. Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus. Bemerkungen zu einem Klassiker, der vor 100 Jahren in Jena erschien
Socialism has been a great tragedy this century… It turns out, of course, that Mises was right”.
Robert Heibronner (September 1990)[1]
Die Tatsache, dass es doch bis 1922 dauern musste, bis die Unmöglichkeit der Wirtschaftsrechnung im und das unvermeidliche Versagen des Sozialismus durch Ludwig von Mises‘ zweifelsfrei bewiesen wurde, wirft kein gutes Licht auf die wissenschaftlich betriebene Nationalökonomie. Noch bedrückender und alarmierender ist jedoch, dass ungeachtet allen menschlichen Leids und aller Katastrophen, die der Sozialismus seither verursacht hat, heute über 40% der US Studenten schon wieder glauben, nur der Sozialismus garantiere ihnen eine Zukunft.
I
Obschon mehrere Autoren vor Mises die theoretischen Probleme des Sozialismus sahen, blieben deren Arbeiten ohne Einfluss. Den systematischen Nachweis der Unmöglichkeit sozialistischer Wirtschaftsrechnung verdanken wir dem bahnbrechenden Buch L. von Mises‘ Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus (G. Fischer, Jena 1922; die Englishe Übersetzung erschien 1932 als Socialism). Diese Pionierleistung enthält das erste vollständige Arsenal aller jemals gegen den Sozialismus vorgebrachten Argumente auf philosophischer, wirtschaftstheoretischer, aber auch historischer Grundlage. Fest in der wissenschaftlichen Tradition Carl Menger‘s oder Eugen von Böhm-Bawerk‘s ruhend, brachte Mises in diesem Klassiker erstmals konsequent die Praxeologie[2] zur Anwendung. Diese Theorie des menschlichen Handelns erklärt die Mittel zur Erreichung von Zielen, ist aber keine Theorie der richtigen Zielwahl. Wertungen und Zielvorgaben sind immer nur das Ergebnis subjektiver Präferenzreihungen und liegen daher jenseits aller redlichen Wissenschaftlichkeit. Die Wirtschaftstheorie sagt somit weder wie gehandelt noch welche Ziele gesetzt werden sollen. Sie zeigt nur wie gehandelt werden müsste, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Weil jede isolierte Intervention weitere Eingriffe erfordert und daher nicht nur die individuelle Handlungsfreiheit vernichtet, sondern damit auch die Freiheit der Wirtschaft, begründet Mises damit folgerichtig die Ablehnung aller Staatseingriffe in den Wirtschaftsablauf.
II
Diese Einsichten führten Mises zur Analyse der verheerenden Folgen jeder Verstaatlichung des Privateigentums an Produktionsmitteln und zum Nachweis, dass jede wirtschaftliche Nutzung verfügbarer Ressourcen nur dann sinnvoll sein kann, wenn die Preiskalkulation nicht nur für das Endprodukt, sondern ebenso für alle dazwischen liegenden Produktionsfaktoren und Stufen angewendet wird. Ohne die subjektive Bewertung der individuellen Marktteilnehmer ist weder die Koordinierung wirtschaftlicher Prozesse möglich, noch kann die Grenzproduktivität der verschiedenen Komponenten, der in einem gemeinschaftlichen Eigentum liegenden Produktionsmittel festgestellt werden. Neben den unüberwindlichen wirtschaftlichen untersucht Mises hier auch die gesellschaftlichen Probleme und die Bedeutung der Gewalt, die durch das enge Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft in allen zentral gelenkten Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen entstehen.
Die von Mises dargelegte Kritik erregte grosses internationales Aufsehen und löste die Socialist Calculation Debate der 1930er Jahre aus. In dieser teilweise hitzigen Sozialismus Diskussion standen führende sozialistische Theoretiker, wie etwa Oskar Lange, Fred M. Taylor, Abba P. Lerner oder Henry D. Dickinson im Wesentlichen Ludwig von Mises und seinem “Schüler“ Friedrich A. von Hayek gegenüber. Ihnen aber auch u.v.a. Lord Robbins, R. v. Strigl oder G.v.Haberler gelang es mit dem werttheoretischen Ansatz der österreichischen Schule die Hypothesen des Sozialismus nachhaltig zu widerlegen.
Als Lange und seine Mitstreiter der zwingenden Argumentation der Austrians wegen die Undurchführbareit einer kollektiv organisierten Wirtschaft ohne Wettbewerb eingestehen mussten, erfanden sie in den späteren 30er Jahren den sogenannten “Konkurrenz-Sozialismus”[3]. Ohne die Wirkungsweise des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs tatsächlich zu begreifen, wurde dabei die Preisbildung auf dem Markt u.a. von Taylor und Lange jedoch weiterhin abgelehnt. Die Regelung von Angebot und Nachfrage sollte einer zentralen Behörde zur Kontrolle der Preise vorbehalten bleiben. Mit Friedrich A. von Hayek‘s Essays Economics and Knowledge (1937), Socialist Calculation: The Competitive Solution (1940) oder The Use of Knowledge in Society (1945) brach dann auch diese sozialistische Theorie in sich zusammen.
Obschon die vernichtenden Ergebnisse der Socialist Calculation Debate auch innerhalb der Führungskader sozialistischer und kommunistischer Parteien teilweise zur Diskussion standen, wurden sie der politischen Doktrin folgend rasch verworfen. So konnte der Sozialismus mit Hilfe des politischen Terrors im Osten Europa’s bis ca. 1990 und in einer Reihe von Staaten bis heute überleben. Diese Tatsache und auch, dass der Sozialismus trotz aller Widersprüche in Theorie und Praxis durch immer neue Maskeraden, Attribute oder zündenden Phrasen verschleiert, der akademischen Jugend in unserer Zeit wieder erstrebenwert scheint, muss allerdings als ein weiteres Versagen der wissenschaftlich betriebenen Nationalökonomie gelten.
III
Resigniert und betroffen empfahl dann Oskar Lange einige Jahre vor seinem Tod die Errichtung einer Mises-Büste. Diese sollte in den Ehrenhallen sozialistischer Planungsbehörden an Mises’ überzeugende Argumentation erinnern. Die künstlerisch gestaltete Skulptur (Nellie Erickson, New York), wurde allerding erst nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus im September 1990 der Universität Warschau von George Koether gestiftet.
Fast scheint es ein Zeichen einer gewissen Selbstüberschätzung Lange‘s zu sein, dass in dessen persönlicher Bibliothek (Universität Warschau) die relevanten und grundlegenden Arbeiten der Austrians weder geöffnet noch jemals gelesen, dafür aber schön gereiht in den Regalen stehen. Auch Max Weber’s Wirtschaft und Gesellschaft, in dem er zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangte wie Mises steht dort ungelesen und verstaubt.
Die allgemein zugänglichen Lehrbücher, wie etwa Economics von Paul A. Samuelson (in dem der US Nobelpreisträger noch 1989 ! behauptete, dass “The Soviet economy is proof that, contrary to what many skeptics had earlier believed, a socialist command economy can function and even thrive“[4]) sind jedoch stark benutzt, viel gelesen und an eher merkwürdigen Stellen sogar rot unterstrichen.
[1] Robert Heilbronner (1919-2005), war Prof. of Economics an der New School of Social Research (NYC), Präsident der American Economic Association (1972) und einer der führenden Sozialisten der USA.
[2] Vgl. Ludwig von Mises, Nationalöknomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens, 2. Nachdruck der Originalausgabe 1940; Buchausgabe.de, 2014.
[3] vgl. O. Lange and F.M. Taylor, On the Economic Theory of Socialism, B.E. Lippincott, Ed., Minneapolis 1938; H.D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939.
[4] Siehe Paul A. Samuelson/William D. Nordhaus, Economics, 13th ed. (New York: McGraw-Hill, 1989), Seite 837.