100. Todestag von Carl Menger

carl menger
Carl Menger – Gründer der österreichischen Schule der Nationalökonomie.

Zum 100. Todestag von Carl Menger (Feb. 26, 1921) – Begründer der österreichischen Schule der Nationalökonomie

Beitrag von Kurt R. Leube
ECAEF | European Center for Austrian Economics Foundation, Vaduz

Die bisherigen Versuche, die Eigenthümlichkeiten der naturwissenschaftlichen Methode der Forschung kritiklos auf die Volkswirthschaftslehre zu übertragen, haben … zu den schwersten methodischen Missgriffen und zu einem leeren Spiel mit äusserlichen Analogien zwischen den Erscheinungen der Volkswirthschaft und jenen der Natur geführt.

Carl Menger (1840-1921, Founder of the Austrian School of Economics)

Unter den drei grossen Gelehrten, denen in den 1870er Jahren fast gleichzeitig aber doch gänzlich unabhängig, die Formulierung der Grenznutzentheorie gelang, war der Österreicher Carl Menger in einer vergleichsweise günstigen Position. Während sich der Franzose Leon Walras in Lausanne seiner mathematischen Darstellung wegen von vornherein nur an einen kleinen Kreis Gleichgesinnter richten konnte, war William St. Jevons in England hauptsächlich mit passiver Gleichgültigkeit konfrontiert. Menger aber gelang es mit seinem Werk Grundsätze der Volkswirthschaftslehre (1871) wenigstens den Zorn und ätzenden Spott Gustav von Schmollers und der Professoren seiner “Jüngeren Deutschen Historischen Schule” auf sich zu ziehen. Alle theoretische Forschung ablehnend, beherrschte diese übermächtige Gelehrtengruppe nicht nur die preussischen Universitäten, sie war zum Teil auch an österreichischen Institutionen vertreten.

Carl Menger wurde am 23. Feb. 1840 in die Familie eines Anwaltes in Neu-Sandez (heute Nowy Sacz, Polen) geboren und wuchs dort mit seinem älteren Bruder Max (1838-1911), dem späteren konservativen Reichstagsdelegierten und dem jüngeren Anton (1842-1906), einem der führenden sozialistischen Theoretiker seiner Zeit, heran. Die Diskussionen zwischen den drei Brüdern, die während der 1890er Jahre gemeinsam im Reichsrat sassen, sind Legion. Menger begann sein Jura-Studium in Wien, schloss es in Prag zunächst ohne Promotion ab und ging 1863 als Journalist nach Lemberg (heute Lviv, Ukraine). Nach dem Bankrott der Lemberger Zeitung übersiedelte Menger 1864 nach Wien, veröffentlichte neben einigen Lustspielen auch mehrere gern gelesene Fortsetzungsromane in lokalen Tageszeitungen und war kurze Zeit auch Herausgeber des Neuen Wiener Tagblatt. Nachdem er 1867 in Krakau promovierte, schrieb Menger für die amtliche Wiener Zeitung und trat in die Presseabteilung des kk Ministerratspräsidiums in Wien ein. Dort wurde er neben anderen journalistischen Arbeiten auch mit den täglichen Marktanalysen betraut. Weil ihm bei diesen Beobachtungen der methodisch unhaltbare Ansatz und die irrigen Annahmen der klassischen Preistheorie auffielen, ‘stürzte’ er sich ab Herbst 1869, ohne direkten Lehrer oder intellektuelles Vorbild in das Studium der Erkenntnistheorie, der Soziologie und der Nationalökonomie. Dabei wurde ihm bald klar, dass die letzte Quelle jeder Preisbildung beim Austausch von Gütern immer nur die subjektive Wertschätzung des Konsumenten sein kann. Die Bewertung jeder Präferenz folgt somit aus der jeweiligen subjektiven Nutzenerwartung. Mit dieser bahnbrechenden Einsicht gelang es Menger die klassische Werttheorie endgültig aus den Angeln zu heben.

In der Ideengeschichte hat kaum jemals ein Erstlingswerk eine derartig nachhaltige Wirkung erzielt wie Menger’s Buch Grundsätze der Volkswirthschaftslehre, das vor 150 Jahren in Wien erschien. Während die Klassik noch durch die Konfusion von Arbeitswert, Nutzen oder Gebrauchswert in hoffnungslosen Widersprüchen verfangen war, gelang Menger der intellektuelle Durchbruch: Aus der Knappheit wirtschaftlicher Güter folgerte er, dass sich der Wert nicht aus der Nützlichkeit der ganzen Gütermenge, sondern immer nur aus dem subjektiven Nutzen einer konkreten Teilquantität des jeweiligen Gutes ergeben muss. Innerhalb einer subjektiv definierten Bedürfnishierarchie einer gegebenen Gütermenge ergibt sich demnach der Wert aller Einheiten aus deren “Grenznutzen” (F. v. Wieser), jenem Nutzenzuwachs der zuletzt befriedigend eingesetzten Teilmenge. Der Umfang des Gütervorrates wird somit zum bestimmenden Faktor des subjektiven Wertes und die kausal-genetischen Beziehungen zwischen den subjektiven Erwartungen, Wertungen und Handlungen der einzelnen Menschen in ihrem sozialen Umfeld stehen daher im Mittelpunkt des theoretischen Interesses der österreichischen Schule. Mengers methodologisch individualistischer Erklärungsansatz wurde für das Verständnis aller Sozialwissenschaften entscheidend.

Kronprinz Rudolf1871, im Erscheinungsjahr seines Buches wurde Menger zum Sekretär im kk Ministerratspräsidium unter Adolf Fürst von Auersperg bestellt und zwei Jahre später, knapp 33 Jahre alt, ernannte ihn Kaiser Franz Joseph I. zum a.o. Professor an der Universität Wien. Wohl im Wesentlichen auf Druck von Kaiserin Elisabeth (und auf Empfehlung Joseph Latour von Thurmburgs) wurde Menger 1876 auch berufen, den jungen Kronprinz Rudolf in politischer Ökonomie zu unterrichten. Eine seiner Aufgaben war es dabei den Kronprinzen auch auf ausgedehnten Studienreisen durch Europa zu begleiten.

Der Kronprinz und Menger pflegten einen engen, intellektuellen, aber auch pesönlichen Kontakt bis Rudolfs vielversprechendes Leben 1889 in der Tragödie von Mayerling endete. Mengers grosser Einfluss auf die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ideen des Kronprinzen zeigt sich nicht nur in dessen zahlreichen Essays, die er (zum Teil mit Menger) der reaktionären Haltung des Hofes wegen, meist anonym erscheinen liess. Auch das sogenannte ‘Kronprinzenwerk’ und Mengers bewegte Nachrufe auf den Kronprinzen zeugen von dieser tiefen intellektuellen Verbindung. Obwohl Menger als Verfasser einiger politischer Polemiken verdächtigt, wurde er 1879 doch zum o. Professor an der Universität Wien befördert.

Menger’s aussergewöhnliches Talent die Jugend für seine Ideen und Theorien zu begeistern und Klarheit mit philosophischer Tiefe zu vereinen, zog immer mehr Studenten aus vielen Teilen Europas und sogar den USA an. Während man an preussischen Universitäten noch weitgehend in theorieloser Forschung verharrte und durch das Studium geschichtlicher Entwicklungen und Abläufe endlich jene empirischen Gesetze zu entdecken hoffte, mit deren Hilfe dann soziale Erscheinungen erklärt werden könnten, entwickelte sich in Österreich die Grenznutzen- und subjektive Werttheorie zum vollen System.

Als Menger’s zweites Buch erschienen 1883 die Untersuchungen über die Methoden der Socialwissenschaften und der Politischen Ökonomie insbesondere ebenso in Wien. Dieses Werk gilt auch heute noch als Meilenstein der Methodologie der Sozialwissenschaften und war ein frontaler Angriff auf die Lehre G. von Schmollers und dessen “Jüngere Deutsche Historische Schule”. Hier legte Menger seine Einsichten in Ursprung und Wesen sozialer Institutionen und seine Betonung der strikt individualistischen Untersuchungsmethode dar und stellte den Erkenntnis- und Erklärungswert theoretischer Forschung der vorherrschenden empirisch, wirtschaftshistorischen Methode gegenüber. Nach Menger war G. von Schmoller und dessen Schule überzeugt durch den “Abdruck[e] eines Archiv-Fascikels, in Excerpten aus Enquete-Berichten oder in der morphologischen Darstellung einzelner Wirtschaftserscheinungen … den Höhepunkt wissenschaftlicher Forschung” zu erreichen. Diesen offenbar noch immer populären Trugschluss haben in jüngerer Zeit, K. R. Popper als “Historizismus” und F.A. von Hayek als “Szientismus” erfolgreich entlarvt. Auf Schmollers verächtliche Rezension der Untersuchungen reagierte Menger 1884 postwendend mit seiner Polemik über Die Irrtümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie. Bald wurden diese leidenschaftlichen Debatten nicht nur von den Meistern selbst, sondern auch von ihren Schülern mitunter sogar in feindseligem Ton ausgefochten. Sie sind in der Literatur als der “Methodenstreit” berühmt geworden. Als ‘unintended consequence’ und wohl ganz gegen Schmollers Absichten erschienen nun in rascher Folge eine Vielzahl origineller Werke, die wesentlich zur Festigung der Lehre Mengers und zum Weltruf der österreichischen Schule beitrugen.

eugen bohm bawerk1892 nahm Menger eine führende Stellung in der Österreich-Ungarischen Währungskommission ein, in der neben Böhm-Bawerk noch eine Reihe seiner wichtigsten Schüler arbeiteten und veröffentlichte bis 1893 mehrere richtungsweisende geldtheoretische Arbeiten. Insbesondere sind hier einige interessante Variationen seines wichtigen Artikels über Geld hervorzuheben, in denen er seinen individualistischen Ansatz auf die Theorie des Geldes anwendet. Seine Darstellung des Ursprungs und der Entwicklung des Geldes als spontan und nicht durch Verordnung entstandene Institution, ist fundamental. Diesen Ansatz hat Ludwig von Mises später erfolgreich in seiner Theorie des Geldes und der Umlaufmittel (1912) zu einem Klassiker der Geldtheorie weiterentwickelt. Neben einigen kürzeren Aufsätzen, dem bewegenden Nachruf auf Eugen von Böhm-Bawerk (1914) und einer Reihe interessanter Artikeln und Buchbesprechungen* publizierte Menger bis zu seinem Tod keine weiteren grossen Werke. Das geplante umfassende Buch über Wesen und Methodik der Sozialwissenschaften blieb leider unvollendet. Es folgten im Wesentlichen nur noch ungezählte Ehrungen. So wurde er u.a. 1894 in die Academie des Sciences Morales et Politiques, und ein Jahr später als Ehrenmitglied in die Royal Society of Edinburgh aufgenommen. 1896 wurde er Hofrat, 1900 auf Lebenszeit in den Reichstag berufen und 1901 zum Präsidenten des Institut de Sociologie in Paris gewählt.

Nachdem Menger 1902 noch Vater eines Sohnes wurde, zog er sich ab dem Wintersemester 1903/04 überraschend auch von seiner überaus erfolgreichen Lehrtätigkeit zurück. Von diesem Zeitpunkt an widmete sich Menger nahezu ausschliesslich dem intensiven Studium der Anthropologie, der Soziologie und der Psychologie. Seine freie Zeit verbrachte er oft lange Stunden an der Donau fischend und kümmerte sich in bemerkenswert rührender Weise um seinen heranwachsenden Sohn Karl, der ab 1928 als Mathematiker zunächst in Wien, Indiana und bis 1971 erfolgreich in Chicago lehrte. Er brachte 1923 die 2. Auflage der Grundsätze seines Vaters in Wien heraus. Carl Menger starb vor 100 Jahren, am 26. Februar 1921 in Wien.


*Mit grosser Kenntnis, akribischer Forschung und mit dankenswerter Ausdauer gelang es Federico Salazar (Ludwig v. Mises Institute Lima, Peru) eine Vielzahl bislang unbekannter, kleinerer, jedoch hochinteressanter Beiträge Carl Mengers in Zeitungen, etc. zu entdecken.

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