Zur 3. Auflage von L. von Mises’ Nation, Staat und Wirtschaft. Beiträge zur Politik und Geschichte der Zeit

  

Wer an die Geschichte herantritt wie der Staatsanwalt an die Akten eines Kriminalfalles, um daraus Material für Anklagen zu gewinnen, der sollte lieber davon bleiben.

Ludwig von Mises

I

Nation, Staat und Wirtschaft. Beiträge zur Politik und Geschichte der Zeit, ursprünglich bei Manz (1919) in Wien auf brüchigem Nachkriegspapier gedruckt, erschien im selben Jahr wie John Maynard Keynes’ berühmter Klassiker, The Economic Consequences of the Peace. Während Mises noch im hungernden Wien und den politischen Wirren der letzten Monate des I. Weltkrieges an diesem kleinen Buch zu arbeiten began, entstand Keynes’ Werk erst im Sommer 1919, nachdem er als Vertreter des britischen Schatzamtes in scharfer Ablehnung der Deutschland auferlegten Bedingungen vor Abschluss der Versailler Friedenverhandlungen zurücktrat. Sein Buch ist daher sowohl Protest gegen die Konsequenzen der ökonomisch widersinningen und destabilisierenden Reparationszahlungen des Vertrages von Versaille, wie auch eine Warnung vor dem sozialen Sprengstoff den diese für Deutschland mit sich bringen. Mises aber ging es in seinen Beiträgen zur Politik und Geschichte der Zeit um die Analyse der historischen, politischen und sozio-ökonomischen Hintergründe die zu einer Geschichtsauffassung führen, die die Vergangenheit nicht mit den Augen der Gegenwart sieht.

II

 

Ludwig von Mises wuchs im Wien des ‘Vin-de-Siecle’ in einer Familie und einer Gesellschaft heran, deren Mitglieder erwarten konnten, nach Beendigung ihrer Ausbildung führende Rollen in der riesigen Vielvölker-Monarchie zu übernehmen. Der Tradition entsprechend besuchte er das angesehene ‘Akademische Gymnasium’ in Wien, schloss 1906 sein juridisches Studium mit dem Dr. juris. An der Universitaet Wien ab, absolvierte seinen Militärdienst, trat 1910 der Kammerorganisation bei und veröffentlichte schon 1912 sein erstes Buch, die Theorie des Geldes und der Umlaufmittel.

Vom Beginn des I. Weltkrieges an bis zum Herbst 1917 diente Mises als Artillerieoffizier in der k.u.k. Armee in den Karpathen, der russische Ukraine und auf der Krim. Das letzte Kriegsjahr allerdings verbrachte er dann krankheitshalber in der Wirtschaftsabteilung des Kriegsministeriums in Wien und erlebte dort das Ende der Doppelmonarchie und den Zerfall seiner Gesellschaft. Nach ungezählten Opfern in der Zivilbevölkerung und rund 5 Millionen gefallenen oder verwundeten Soldaten aus Österreich, aus Böhmen und Mähren, aus Ungarn oder Polen wurde im norditalienischen Udine Anfang November 1918 ein Waffenstillstand mit den Alliierten unterzeichnet. Als dann am 11. November 1918 der österreichische Kaiser Karl I. abdanken musste und am folgenden Tag ein selbsternanntes Parlament in Wien die “Republik Deutsch-Österreich” ausrief, brach die Monarchie mit ihren ehrwürdigen und völkerverbindenden Traditionen endgültig in sich zusammen. In Prag, Wien, in Budapest oder Krakau wurde der Doppeladler als Symbol des Hauses Habsburg in blindem Hass von den Podesten gerissen, mörderische nationale Gegensätze brachen auf und sozialistische Arbeiter- und Soldatenräte riefen mit den Parolen der russischen Oktoberrevolution zum gewaltsamen politischen Umsturz auf. Hunger, Kälte und wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit beschleunigten den Zerfall vertrauter gesellschaftlicher Strukturen der grossen Monarchie[1]. Zum kleinen Binnenland verkommen, konnte der neue, demokratisch unerfahrene Staat, dessen erste Verfassung Mises’ Freund, Schul- und Studienkollege Hans Kelsen mitgestaltete, kaum die sozialen und wirtschaftlichen Erwartungen einer Generation erfüllen, die den Fahneneid noch auf Kaiser und Monarchie geleistet haben. Das weder politisch noch ökonomisch kaum erfüllbare Diktat des Vertrages von St. Germain und die vorherrschende Überzeugung, dass der neue Staat nicht lebensfähig sei, machten daher die Idee eines baldigen Anschlusses an Deutschland für zahllose Intellektuelle, Unternehmer, Politiker oder Künstler zunächst einmal politisch attraktiv.[2]

III

Nation, Staat und Wirtschaft. Beiträge zur Politik und Geschichte der Zeit, ursprünglich bei Manz 1919 in Wien auf brüchigem Nachkriegspapier gedruckt, erschien im selben Jahr wie John Maynard Keynes’ berühmter Klassiker, The Economic Consequences of the Peace. Während Mises noch im hungernden Wien und den politischen Wirren der letzten Monate des I. Weltkrieges an diesem kleinen Buch zu arbeiten began, entstand Keynes’ Werk erst im Sommer 1919, nachdem er als Vertreter des britischen Schatzamtes in scharfer Ablehnung der Deutschland auferlegten Bedingungen vor Abschluss der Versailler Friedenverhandlungen zurücktrat. Sein Buch ist daher sowohl Protest gegen die Konsequenzen der ökonomisch widersinningen und destabilisierenden Reparationszahlungen des Vertrages von Versaille, wie auch eine Warnung vor dem sozialen Sprengstoff den diese für Deutschland mit sich bringen. Mises aber ging es in seinen Beiträgen zur Politik und Geschichte der Zeit um die Analyse der historischen, politischen und sozio-ökonomischen Hintergründe die zu einer Geschichtsauffassung führen, die die Vergangenheit nicht mit den Augen der Gegenwart sieht. Die kurzfristigen wirtschaftlichen und politischen Aussichten des Nachkriegseuropas aber sahen beide Autoren gleich pessimistisch und warnten eindringlich vor den sozialen Gefahren einer galoppierenden Inflation und der weiteren Ausbreitung eines irrationalen Nationalismus. Warnungen, die auch heute gehört werden müssen.

 

Trotz vereinzelter, zeitbedingt überholter Passsagen ist Nation, Staat und Wirtschaft auch heute noch ein ebenso anspruchsvolles wie hochaktuelles Werk. Ursprünglich wollte Mises dem Buch den Titel ‘Imperialismus’ geben. Hier gelingt es Mises so eminent politische Begriffe oder Reizwörter wie ‘Nation’, ‘Kultur’, ‘Migration’, oder ‘Sozialismus’ aus den historischen Zusammenhängen zu analysieren und zu erklären. Von besonderer wirtschafts- und gesellschaftspoliotischer Wichtigkeit ist hierbei sein präzise Definition der verschiedenen Ausformungen und Spielarten des Sozialismus. In dieser ersten systematischen Darstellung der Problem sozialistischer Wirtschaftsrechnung skizziert Ludwig von Mises bereits die Themen, die den Schwerpunkt seiner langen wissenschaftlichen Tätigkeit bilden sollten.[3] Mit seinen frühen Büchern, wie etwa Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus (1922/1976/2006), Liberalismus (1927/1996), oder seinem schmalen Band Kritik des Interventionismus (1929/1978) etablierte Mises nicht nur seine überragende Stellung als Ökonom, sondern ebenso auch als einer der wichtigsten Sozialphilosophen unserer Zeit.

Nachdem die 2. Auflage dieses fast vergessenen Werkes schnell vergriffen war, verdanken wir die nun vorliegende 3. wieder den vielen wichtigen Initiativen Michael Kastner’s. Auch dieses Buch erschien in seinem Verlag, Buchausgabe.de.

 

 

[1] vgl. zur Geschichte dieser Zeit, vgl. Carl Shorske, Fin de Siecle Vienna. Politics and Culture. New York 1981 oder auch William M. Johnston, The Austrian Mind. An Intellectual and Social History 1848-1938, Berkeley 1983. Aber auch Steven Beller’s, Vienna and the Jews, 1867-1938: A Cultural History, Cambridge 1989 ist eine interessante Quelle.
Einige Beiträge in Norbert Leser’s Die Wiener Schule der Nationalökonomie, Graz 1986 und in Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, herausgegeben von P.Berner, E. Brix und W. Mantl, Wien 1986 sind hier ebenso von Interesse.

[2] Unter vielen anderen Beiträgen, sei hier auf Ludwig von Mises, “Der Wiedereintritt Deutsch-Österreichs in das Deutsche Reich und die Währungsfrage” hingewiesen. In: Wirtschaftliche Verhältnisse in Deutsch-Österreich: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 158, 1919, 147-171ff
[3] vgl. L. von Mises, “Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen”, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 47, 1, April 1920.

 

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