Zum Jahreswechsel: Ein paar Gedanken über die Steuerprogression

Obwohl sich die Geschichte der progressiven Besteuerung leicht von den Erfahrungen unserer heutigen Zeit über die Französische Revolution oder die Absicht der Medici ihre Macht durch eine steile Progression zu erhalten, bis ins klassische Griechenland zurückverfolgen lässt[1], wurde die Idee im Ganzen und Grossen seit jeher als ungerecht empfunden.

The system of discriminatory taxation universally accepted under the misleading name of progressive taxation of income and inheritance is not a mode of taxation. It is rather a mode of disguised expropriation of successful capitalists and entrepreneurs.                                                                             Ludwig von Mises

 

Als Instrument zur Umverteilung der Güter wurde die Steuerprogression bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Theorie und Praxis als ein von Hass getriebener Akt der Willkür[2] und gegen das Prinzip der Gleichheit verstossend, fast allgemein abgelehnt. Noch 1845 schrieb J. R. McCullough, dass jedes Abrücken von diesem Prinzip zu gesellschaftspolitisch gefährlichen Ungerechtigkeiten führen muss[3]. Und noch bevor sich etwa ab 1850 in Wissenschaft und Politik andere Denkweisen abzuzeichnen begannen, geisselte John Stuart Mill die Steuerprogression als eine durch den Staat legalisierte Form des Raubes[4].

II

Ein Umschwung im Denken began, als vor 175 Jahren Karl Marx und Friedrich Engels das “Kommunistische Manifest” veröffentlichten, in dem sie neben einer Reihe anderer konfiskatorischer Massnahmen nach dem Durchlaufen einer ersten revolutionären Stufe auch eine “starke Progressiv-Steuer” forderten. Diese sollte nicht nur dem Proletariat dazu dienen, der verhassten Bourgeoisie endlich alles Kapital entreissen zu können. Auch die Institutionen der Gesellschaft sollten “vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigenthumsrecht und in die bürgerlichen Produktions-Verhältnisse”[1] erschütter werden.  Gepaart mit der kaum jemals klar definierten Sozialen Frage gewann dann ungefähr ab 1860 Karl Marx’ Idee, Güter nicht mehr nach Leistung, sondern nach Bedürfnissen zu verteilen, wirtschaft- und gesellschaftspolitisch schnell an Einfluss. Dem Zeitgeist folgend begann sich vornehmlich an preussischen Universitäten eine akademisch betriebene Sozialpolitik zu entwickeln, die sich ohne theoretisches Fundament allerdings meist in unsystematischen und utopischen Sozialschwärmereien[2] verlor. Nach den Vorstellungen Adolph Wagner’s, neben Gustav von Schmoller einer der führenden Kathedersozialisten Preussen’s, sollte es Aufgabe dieser neuen wissenschaftlichen Disziplin sein, ungleiche Verteilungsituationen mit den Mitteln der Gesetzgebung und der Steuerpolitik radikal zu bekämpfen[3].

Obschon die meisten Sozialwissenschaftler dieser Zeit der finanz- und volkswirtschaftlichen Begründungen jeder Steuer noch immer den Vorrang vor Aspekten der Verteilungsgerechtigkeit gaben, mutierte die Sozialpolitik doch bald zu einem Instrument, mit dem die Gesellschaft in eine “sozial gerechte Ordnung” umgeformt werden sollte. Zur gesellschaftliche Umwandlung sollten “Progressivsteuern in infinitum[4] eingesetzt werden, wobei der direkte Eingriff in die Eigentumsrechte meist verschleiert und allen zu Wohlstand gelangten Bürgern eine gewisse “Amoralität” unterstellt wurde. Mit der Bezeichnung der Progressivsteuer als der “volkswirtschaftlich richtigen Steuerquelle” fällten diese Autoren ein Werturteil über eine ‘sozial’ wünschenswerte oder gerechte Einkommensverteilung und setzten die undefinierbaren Bedürfnisse der Gesellschaft immer über diejenigen des Einzelnen[5].

Nachdem es dann A.E.Schäffle in einer semantischen Meisterleistung gelang den ungeliebten Steuerzwang mit dem positiv besetzten Begriff der “Steuerkraft” zu ersetzen und damit unbestimmte Schuldgefühle, Neid und wohl auch den Drang nach Vergeltung erzeugte, wurde die Steuerprogression bald als die einzig faire und moralisch begründbare Besteuerungsmethode von Wissenschaft und Politik wahrgenommen. Verschiedene “Leistungs–, Beitragsfähigkeits–” oder  “Opfertheorien” beherrschten fortan die Diskussion. Mit moralisierenden Appellen an die nationale Ehre, die Solidarität oder den persönlichen Stolz wurden immer höhere Progressionsraten gefordert um “unmoralisch” zu Wohlstand gelangte Mitbürger im Sinne einer “sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit”  zu strafen.

Dem herrschenden Zeitgeist der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts fiel auch der junge österreichische Kronprinz Rudolph zum Opfer. Obschon von Carl Menger, dem Begründer der österreichischen Schule der Nationalökonomie ausgebildet, schrieb Kronprinz Rudolph in seine Notizen, auch wohlhabende Bürger müssten “durch die progressive Besteuerung ihres reinen Einkommens getroffen werden[6]. Diese “Opfertheorie” wurde allerdings auch von einigen prominenten Vertretern der zweiten Generation der österreichischen Schule der Nationalökonomie, wie etwa Friedrich von Wieser[7], Emil Sax[8] oder Robert Meyer[9] vertreten. Ihre Ideen werden heute jedoch weitgehend nur mehr als bedauerlicher Irrtum angesehen.

III

Einer der Hauptgründe für die unkritische Akzeptanz progressiver Besteuerungsformen scheint auf dem Glauben der Mehrheit zu beruhen, dass nur eine “angemessene” und daher “gerechtfertigte” Entlohnung sowohl legitim wie auch sozial wünschenswert ist. Dass die Höhe des Einkommens demnach keine Funktion des Wertes individuell dargebrachter Leistungen und nicht über einen von der Mehrheit bestimmten Wert liegen sollte, stützt sich daher in der Regel auf selten hinterfragte Vorurteile und zum Teil wohl auch auf Neid.

Diese Theorien lassen sich auch auf das Überwiegen unselbstständiger Arbeit zurückführen, bei der Menschen für Geld, ihre Zeit und ihr Können an andere verkaufen. Sie trifft jedoch nicht auf die Beurteilung der Einkommen zu, die aus unternehmerischer, selbstverantwortlicher Tätigkeit stammen, bei der das Risiko jeder Investition durch die Grösse des zu erwarteten Gewinnes determiniert ist. Wenn daher ein grosser Teil der unternehmerischen Gewinne als “unverdientes” Einkommen mit besonders hoher Progression belegt wird, so muss erwartet werden, dass solche Investitionen entweder unterbleiben oder die Unternehmerschaft nach Subventionen für deren Risikoabdeckung verlangt. Diese aber müssten allerdings wieder durch allgemeine Steuergelder finanziert werden. Die Erzielung von Gewinnen ist nicht als die Bestimmung eines Anteils am Volkseinkommen anzusehen, sondern sie ist vielmehr das Ergebnis eines Prozesses der ständig zur Neuverteilung des Kapitals führt.

Die Anwendung einheitlicher und gleicher Regeln auf das Verhalten einer Vielzahl tatsächlich grundverschiedener Menschen muss zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen für diese Individuen führen. Um unbeabsichtigte, aber unvermeidliche Unterschiede in der materiellen Position einzelner Personen mit politischem Druck und Hilfe der Steuerprogression abzubauen, begann man die Bürger steuerlich nicht mehr nach gleichen, sondern nach unterschiedlichen Regeln zu behandeln. Es ergibt sich daher jener paradoxe Effekt der Progressivität, der, anstatt Ungleichheiten zu reduzieren, nicht nur hilft bestehende Ungleichheit zu erhalten. Sie macht auch die wichtigste Kompensation für jene Ungleichheiten zunichte, die sich in einer Marktwirtschaft unvermeidlich ergeben. Das fundamentale Prinzip wirtschaftlicher Gerechtigkeit, das gleiche Entlohnung für gleiche Leistung fordert, wird somit verletzt wobei eine Steuerungerechtigkeit entsteht, die bestimmten Personen, Gruppen oder Koalitionen  organisierter Interessen politisch erwünschte Ergebnisse verschafft.

Es ist daher paradox, dass kollektiv bestimmte Progressionsraten, zu der eine Minderheit diskriminatorisch besteuert wird, in der Regel von einer demokratischen Mehrheit festgelegt wird, die diesen Raten selbst aber nicht unterliegt. Oder entspricht es etwa  dem Prinzip “sozialer Gerechtigkeit”, dass die Majorität der mittleren oder kleineren Einkommen über die von der Minorität zu tragenden Lasten entscheidet? Es ist ein Unterschied, ob eine Majorität einer einkommensschwachen Minortät eine Steuererleichterung gewährt und somit freiwillig höhere Belastungen  übernimmt oder ob die Mehrheit der Minderheit Lasten auferlegt.

IV

Demokratische Gesellschaften scheinen sich jedoch zu Organisationen zu entwickeln, in denen Mitglieder auf Anordnung kollektive Ziele verfolgen. Diese Koalitionen  organisierter Interessen bestimmen dann Entlohnung oder Einkommen als gerechtfertigt, angemessen oder ungerecht. In Gesellschaften freier unabhängiger Menschen aber kann niemand vorhersehen, was oder wieviel jeder Einzelne im Laufe eines Arbeitslebens erhalten wird. Die individuell erzielten Einkommen, sind somit das Ergebnis menschlicher Handlungen in einer Marktwirtschaft und nicht das Resultat einer kollektiven höheren Absicht und können daher weder als gerecht noch als ungerecht bezeichnet werden. Jede Politik die mit Steuerprogression “positive” Gerechtigkeit zu erzielen will, droht somit langfristig die individuelle Freiheit zu zerstören, weil sie ein Einverständnis über eine wünschenswerte Verteilung vorraus setzt, das in einer freien Gesellschaft, deren Mitglieder weder einander noch dieselben Tatsachen kennen, unerreichbar bleiben muss. Aus der notwendigen Unvollkommenheit des Wissens über die Umstände, die zu dieser Leistung führten, kann in freien Marktwirtschaften jedes Einkommen immer nur dem Wert entsprechen, den eine Leistung für einen anderen hat. Der Wert einer Leistung steht daher oft in keiner Beziehung zu dem, was wir umgangssprachlich ein angemessenes Verdienst nennen, aber auch nicht zu den jeweiligen Bedürfnissen. So ist es irreführend von Gerechtigkeit zu sprechen, wenn es um die Frage geht, was in einer Marktwirtschaft gerecht wäre. Der Wert einer individuellen Leistung ist  für die gesamte Gesellschaft demokratisch nicht bestimmbar.

V

In ordnungspolitischer Sicht sind Steuern Preise für die Bereitstellung öffentlicher Güter, die der modern Staat im Interesse eines schwer definierbaren “Gesamtwohls” allen zur Verfügung stellt. Sie werden als ein solidarisch zu leistender Beitrag dargestellt, den jeder einzelne Bürger zur Finanzierung jener Aufwendungen beizutragen hat. Steuerreformen sind jedoch nicht zuletzt auch ein moralisches Problem und gehören daher zu jenen Fragen der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, an denen sich seit jeher die Geister scheiden.

Als einfache Lösung der Besteuerung bietet sich eine “Flat Tax” an. Diese sieht eine einfache, uniforme Abgabe vor, der alle Steuerzahler, Privatpersonen ebenso wie die Geschäftswelt, unabhängig von Herkunft und Höhe ihrer Einkommen, unterliegen. Die Flat Tax ist proportional und steht damit in scharfen Gegensatz zur vorherrschenden und unhaltbar gewordenen Progressivsteuer, bei der zunehmend höhere Abgaben eingehoben werden, je grösser die individuellen Einkommen werden. Dem Prinzip nach kann die “Flat Tax” den Erfordernissen der Staatseinnahmen entsprechend massgeschneidert werden. Und weil sowohl die Steuerbasis wie auch die Steuerrate nach den jeweiligen Bedürfnissen gewählt werden können ist sie somit übersichtlich, einfach und marktwirtschaftskonform.

Obwohl die administrativen, moralischen und finanziellen Vorteile einer “Flat Tax” für den Steuerpflichtigen überschaubar und leicht verständlich sind, scheinen sich die Politiker im Allgemeinen doch vor umwälzenden Reformen zu scheuen. Der Grund dafür dürfte aber nicht nur in ideologischen Vorurteilen zu suchen sein, sondern sind wohl machtpolitisch bedingt. Schliesslich ist für den rational handelnden Politiker die Furcht durch Reformen des Steuersystems, d.h. durch den Abbau von Privilegien bestimmter Gruppen, die notwendige Unterstützung dieser Wählerschichten zu verlieren, in aller Regel viel grösser, als seine Hoffnung, durch die angestrebte Reform neue Wähler zu gewinnen.

Die Literatur zur “Flat Tax” ist umfangreich und bei www.buchausgabe.de zu finden.

 

 

[1] Karl Marx und Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, London, Februar 1848, Seite 16.

[2] Vgl. etwa Fritz Raab, Die Fortschrittsidee bei Gustav von Schmoller, Freiburg/Br. 1934; oder  auch Walter Eucken, “Die Überwindung des Historizismus”, in: Schmoller’s Jahrbuch, LXII, 1938.

[3]  vgl. Adolph Wagner, “Über soziale Finanz- und Steuerfragen”, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, IV. 1883.

[4] Vgl. G.A. Konstantin Frantz, Die sociale Steuerreform als die condition sine qua non, wenn der socialen Revolution vorgebeugt werden soll. Mainz, 1881, Seite 70ff.

[5] Vgl. S.P. Altmann, “Das Problem der Gerechtigkeit der Besteuerung”, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, XXXIII, 1911.

[6]  see Carl Menger’s Lectures to Crown Prince Rudolf of Austria, Erich W. und Monika Streissler, Ed., Edward Elgar, Aldershot 1994

[7] F.A. von Hayek hat mir gegenüber oft betont, dass sein eigener Lehrer, F. von Wieser immer wieder die exakte Begründung und Einführung der Progression auf dem Grenznutzenprinzip als eine seiner grössten Leistungen bezeichnete.

[8] Emil Sax, “Die Progressivsteuer”, Zeitschrift für Volkswirtschaft, vol. 1, 1892; Seite 71ff.

[9] Vgl. Charles O. Galvin, Boris I. Bittker, The Income Tax: How Progressive Should it Be?, AEI, Washington DC, 1969

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