Die Herrschaftsordnung Ihres Vertrauens

Stärken und Schwächen von Nationalstaaten gegenüber einem supranationalen Staatenbund.

Beitrag von Ekkart Zimmermann*, erschienen im Schweizer Monat Nr. 1027, Ausgabe Dezember 2019

Derr Schweizer Philosoph und Aufklärer Johann Georg Zim­mermann meinte im 18. Jahrhundert sinngemäss, so wie der Esel seinen Stall habe, so gehe es dem Bürger mit der Nation. Nun
sind beide, Esel und Zimmermann, kluge Wesen. Doch wohin führt uns diese Klugheit?

Im 19. Jahrhundert war der nationalstaatliche Rahmen zu gross ausgelegt für die bestehenden Gemeinschaften, er musste erst aus­ gefüllt werden. Mit den Worten von Eugen Weber: “Bauern mussten erst zu Franzosen werden, durch eine national orientierte Erzie­hung ebenso wie durch Strassen­ und Eisenbahnbau”. Der Staat war der proaktive, der nach vorn gerichtete Rahmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Nationalstaat vor allem in den letzten 50 Jahren unter Druck: durch multinationale Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen, durch internationale Bündnisse und überstaatliche Vereinigungen sowie durch den Abbau von Hemmnissen für Handel, Ideen­ und Personenverkehr. Der Natio­nalstaat hat Wettbewerber erhalten und erwies bzw. erweist sich als relativ schwach. Er wirkt nun für viele nicht mehr vorwärts­, sondern rückwärtsgewandt und ist in die Defensive geraten.

Von Heimatgefühl, der engen regionalen Bindung an Familie, Landschaft und vertraute Kultur, über Nationalbewusstsein, also das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer grösseren kulturellen und sprachlichen Gemeinschaft, bis zum Nationalstaat, also der Idee, dass kulturelle Gemeinsamkeiten und historisches Schicksal ei­ner breiten Bevölkerungsgruppe sich in einem Staat mit eigenen Institutionen, eigener Identität und Werten finden sollten, exis­tiert ein breites Kontinuum. Der Staat, auch der Nationalstaat, ist durch die Dreiheit von Territorium, Grenzen und institutionali­sierter Staatsgewalt gekennzeichnet. Minderheiten werden in ei­nem solchen Nationalstaat von der Mehrheit höchstens geduldet, sind aber selten gleichberechtigt. Staatsgebilde, Territorium und kulturell und sprachlich relativ einheitliche Bevölkerung sollen möglichst eine Einheit bilden. Häufig sind in den Nachbarländern aber Landsleute anzutreffen. Im 19. und 20. Jahrhundert war da­bei oft von Irredenta, unerlösten Gebieten, die Rede, die notfalls mit Gewalt einverleibt werden sollten …

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*Ekkart Zimmermann ist emeritierter Professor für Makrosoziologie an der Technischen Universität Dresden. Von 2011 bis 2016 war er Gastprofessor an der ETH Zürich.

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