Das Janusgesicht der europäischen Integration
Liberales Institut, Zürich | LI-Paper • September 2016
Das Janusgesicht der europäischen Integration
von Pascal Salin
Es ist unbestritten, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten und Austauschbeziehungen der Menschheit in den vergangenen Jahrzehnten eine Internationalisierung erfahren haben. Die Globalisierung ist zweifellos ein wichtiger Charakterzug unserer Zeit. Sie ist weitgehend das Ergebnis diverser Anstrengungen, den Handel zu liberalisieren – sei es durch den multilateralen Ansatz des GATT und später der WTO, durch bilaterale Liberalisierungsabkommen, die immer häufiger angewandt werden, oder durch regionale Integrationspolitiken, insbesondere in Europa. Darüber hinaus hat auch die technische Entwicklung in den Bereichen Verkehr und Information zur Internationalisierung beigetragen. Nicht immer werden diese wichtigen Veränderungen richtig verstanden und akzeptiert. So betrachten viele in Europa die Globalisierung als schädlich, weil sie aufgrund angeblicher Konkurrenz aus Niedriglohnländern zum Verlust von Arbeitsplätzen in entwickelten Ländern führe, oder auch, weil sie eine „Standardisierung“ der Lebensstile und Kulturen (was manche geradezu eine „Amerikanisierung“ nennen) herbeiführe. Angesichts solcher vermeintlicher Gefahren wird dann bemängelt, dass die Globalisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten nicht durch eine „Globalisierung“ der Wirtschaftspolitiken flankiert würde, das heisst durch eine Koordination oder gar eine Harmonisierung dieser Politiken. Doch diese Einschätzung beruht auf einem fundamentalen Irrtum.
Da sich die globale politische Kooperation tatsächlich als schwierig erweist, erscheint die regionale Wirtschaftsintegration gegenüber der Globalisierung vorteilhaft. Auf regionaler Ebene sei es eher möglich, „organisierte Märkte“ (sprich: regulierte Märkte) zu errichten. Erstaunlich ist dabei, dass die meisten Menschen – insbesondere die Politiker – eine äusserst unscharfe Vorstellung davon haben, was eine Integration eigentlich ausmacht. Dennoch wird ihre Umsetzung als absolute Notwendigkeit und einziges Mittel betrachtet, den ökonomischen Herausforderungen unserer Zeit Herr zu werden. Nicht selten dient die europäische Integration den Regierungen auch schlicht als ein Alibi: Einerseits wird behauptet – nach meiner Auffassung zu Unrecht –, dass die Zugehörigkeit zur Eurozone den Ländern verunmögliche, die Geld- oder Wechselkurspolitik zu betreiben, die ihnen eine Lösung ihrer ökonomischen Probleme erlauben würde. Gleichzeitig wird aber andererseits behauptet, dass dieses oder jenes Problem ohne „europäische Antwort“, das heisst ohne die Ausarbeitung von gemeinsamen Politiken und zentralisierten Entscheidungen, nicht gelöst werden könne …
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