Das Corona-Virus und die Blasenökonomie

von Olivier Kessler*

Die Chancen stehen gut, dass das aktuelle Börsendrama als «Corona-Crash» in die Geschichtsbücher eingehen wird. Mit dieser Fokussierung auf den Trigger würde jedoch etwas Wesentliches übersehen.

Rückblickend werden die vielschichtigen und undurchsichtigen Entwicklungen in der Geschichte oftmals auf einige wenige spezifische Ereignisse reduziert. Dies entspricht dem menschlichen Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion und Einordnung: Man versucht den Wald trotz lauter Bäumen zu sehen. Manchmal jedoch birgt diese Simplifizierung die Gefahr voreiliger Schlüsse.

So wie der «Immobiliencrash» von 2008 vereinfachend den «gierigen Spekulanten» und die Eurokrise dem «überschuldeten Griechenland» angelastet wurden, droht nun das Corona-Virus zum Sündenbock für den aktuellen Börsenkrach zu mutieren.

Darauf deuten bereits Aussagen diverser Regierungen hin: Man tut so, als sei lediglich das Virus das Problem der Wirtschaft, während die über viele Jahre aufgebauten strukturellen Ungleichgewichte in Form von staatlich am Leben erhaltenen Zombie-Unternehmen und rekordhoher Verschuldung an allen Fronten ausgeblendet werden. Das wäre in etwa so, wie wenn man nur jenen für eine Explosion verantwortlich machen würde, der ein brennendes Zündholz fallen lässt, nachdem zuvor andere mutwillig und breitflächig Benzin ausgeschüttet haben.

Diese Interpretation würde einmal mehr den entscheidenden Komplizen unerkannt entwischen lassen: die Zentralbanken. Genauso wie die Spekulanten und die Probleme in Griechenland lediglich eine der vielen möglichen Nadeln waren, an denen frühere Blasen hätten platzen können, ist auch das Corona-Virus nur einer von vielen möglichen Katalysatoren, welcher den sich längst von realen Werten entkoppelten Märkten die Luft ablassen könnte – wie stark, muss sich in den kommenden Wochen und Monaten erst noch weisen.

Eine weltweite Pandemie diesen Ausmasses – erst noch in Kombination mit einem Ölpreisschock – hätte bestimmt auch unter geldpolitisch «normalen» Umständen eine Marktkorrektur zur Folge, jedoch dürften die Konsequenzen in der heutigen Blasenökonomie um ein Vielfaches gravierender sein.

Genauso wie der Corona-Virus vor allem für jene Patienten mit Vorerkrankungen wirklich gefährlich sein soll, so ist der Virus auch für jene Volkswirtschaften besonders bedrohlich, die seit einiger Zeit an geldpolitischem Grössenwahnsinn kränkeln – wo also das Sparen für schwierige Zeiten durch Tiefstzinsen bestraft sowie die Überschuldung und das Spekulieren mit Leverage belohnt wurde. Eine solche Geldpolitik hatte auch die historisch Grosse Depression 1929 verursacht, obwohl dies in diversen Lehrbüchern anders dargestellt wird.

Lektionen aus der Grossen Depression

In einer der profundesten Analysen dieser Periode – in America’s Great Depression – zeigte Murray Rothbard entgegen weitverbreiteter Klischees, dass die Grosse Depression von der expansiven Geldpolitik der US-Zentralbank verursacht wurde. Die Geldmenge wurde zwischen 1921 und 1929 um satte 62 Prozent ausgeweitet, was zwar keine Konsumentenpreis-Inflation, dafür aber eine Blase auf den Finanzmärkten schuf. Parallelen zu heute sind unübersehbar.

Die Federal Reserve (Fed) selbst gab zu, dass ihre Geldpolitik die Weltwirtschaftskrise verschuldete. Nobelpreisträger Milton Friedman vertrat in seiner umfangreichsten Studie zusammen mit Anna Schwartz die Ansicht, dass es ohne Fed auch keine Grosse Depression gegeben hätte. Unter dem früheren wettbewerblichen Geldsystem hätte die Clearingstelle der Privatbanken die Lage schnell entschärft.

Der ehemalige Fed-Chef Ben Bernanke stellte 2002 in einer Rede zur Ehrung Milton Friedmans anlässlich seines 90. Geburtstags fest, dass die Grosse Depression tatsächlich geldpolitische Ursachen hatte. Bernanke entschuldigte sich sogar im Namen der Zentralbank: «I would like to say to Milton and Anna: Regarding the Great Depression. You’re right, we did it. We’re very sorry. But thanks to you, we won’t do it again.»

Diese Versprechen waren jedoch heisse Luft. Nicht nur hatte die US-Zentralbank mit ihrer expansiven Geldpolitik zwischen 2002 und 2007 – als die Geldmenge M2 um 39% von 5,4 auf 7,5 Bio. USD erhöht wurde – die Immobilienblase herbeibeschworen, deren Platzen die Finanzkrise von 2008 einleitete.

Auch hat sie seither unbeirrt an ihrer problematischen ultraexpansiven Geldpolitik der Geldvermehrung und der Heruntermanipulierung der Zinsen festgehalten: Von 2008 bis 2019 hat sie die Geldmenge M2 sogar noch stärker, nämlich von 7,5 auf 15,2 Bio. USD im Jahr 2019 um 103% ausgeweitet. Der Dow Jones legte im selben Zeitraum um 128% zu (wohlgemerkt: gemessen von Anfang 2008, als die Märkte noch nicht dramatisch eingebrochen sind), wobei nicht eindeutig ist, welcher Anteil auf zusätzliche Wertschöpfung und welcher auf zusätzliche Geldschöpfung zurückzuführen ist.

Die Schweizerische Nationalbank übertrumpfte die Fed sogar noch: Sie vergrösserte ihre Zentralbankengeldmenge von rund 50 Mrd. CHF im Jahr 2008 auf 584 Mrd. CHF im Jahr 2019 um über 1000%. Die Notenbanken konnten sich damit zwar vordergründig als Feuerlöscher in den von ihnen verursachten Krisen in Szene setzen, gleichzeitig haben sie damit aber auch zuverlässig das Benzin für einen noch grösseren Flächenbrand ausgeschüttet, der irgendwann nicht mehr in den Griff zu kriegen sein wird.

Grosse geldpolitische Risiken

Die neusten Reaktionen der Zentralbanken lassen vermuten, dass man nicht gewillt ist, den bedrohlichen Trend umzukehren. So senkte etwa die Fed die Zinsen am Sonntagabend panisch auf 0% und kündigte an, die Märkte in den nächsten Tagen mit gigantischen 700 Milliarden neuen Dollars zu fluten. Doch die Marktakteure scheinen das Vertrauen verloren zu haben, denn ein weiterer dramatischer Kurseinsturz an den Börsen folgte unmittelbar.

Die Risiken einer solchen expansiven Geldpolitik dürfen angesichts der gleichzeitig schrumpfenden Produktion aufgrund der Unterbrüche in den weltweiten Wertschöpfungsketten nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Übereifrige Massnahmen der Zentralbanken könnten unter solchen Umständen rasch in eine Hyperinflation umschlagen – ein Horrorszenario, das um ein Vielfaches schlimmer wäre, als ein zugelassener konjunktureller Abschwung. Es wäre höchste Zeit für ein Umdenken und für eine geordnete Abkehr von der Blasenökonomie.

Erstveröffentlichung in “Finanz und Wirtschaft“, 18. März 2020


*Olivier Kessler ist Vizedirektor des Liberalen Instituts in Zürich, Schweiz. Das 1979 gegründete Liberale Institut verfolgt das Ziel der Erforschung freiheitlicher Ideen. Das Institut untersucht die Schweizer Tradition und Kultur von individueller Freiheit, Frieden, Offenheit und politischer Vielfalt und setzt sich für die Weiterentwicklung der liberalen Geistestradition ein.

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