Recht, Freiheit und Vergänglichkeit – die Rolle des Menschen im Rechtsstaat
First, the rule of law is also – or even foremost – about people.
Douglas North, Nobelpreisträger der ökonomischen Theorie und überzeugter Liberaler, dachte viel über Institutionen nach. Institutionen sind die «Spielregeln» einer Gruppe: des Markts, der Gemeinschaft, der Gesellschaft oder des Staates. Spielregeln können entstehen und sich als Konvention etablieren – etwa, dass man sich
die Hand gibt und dann der Meinung ist, man hätte einen Vertrag abgeschlossen – oder sie können formal beschlossen werden – etwa die Traktandenliste eines Verwaltungsrats oder das Wirtschaftsrecht eines Landes. Das Recht, oder den Rechtsstaat insgesamt, sind Institutionen. North untersuchte den Zusammenhang zwischen den Institutionen und der wirtschaftlichen Allokation. Er warf Fragen auf, etwa: Was macht informelle Regeln so stark, dass sie Gesellschaften lange prägen, den Weg zum staatlichen Recht bahnen oder ihn sogar konkurrenzieren? Was ist das eigentliche Verhältnis zwischen den staatlichen Regeln und den informellen Regeln? Und vor allem: Wie beeinflussen Regeln die Wohlfahrt und Lebensqualität einer Gesellschaft? Diesen Einfluss nannte er die Performance der Institutionen. Eine naheliegende Antwort, die North für plausibel hielt war: Wo staatliche Regeln die informellen Regeln – also die Überzeugungen und die Werte der Menschen – abbilden, dort kann sich die Gesellschaft besser entfalten. Ebenso naheliegend legt er einen anderen Zusammenhang nahe: Wo Regeln einfach und transparent sind und wo sie für alle gelten und umgesetzt werden, dort fällt ihre Performance höher aus.
North versteht sich klar als Fortführung der Forschung von John Locke, Adam Smith und Friedrich Hayek. Sie drei gingen der Frage der Ordnung nach. Sie drei glauben, dass Gouvernanz, Gesellschaft und Wirtschaft am besteh funktionieren, wenn sie einer natürlichen oder spontanen Ordnung folgten oder Ausdruck einer solchen sind. Sie drei waren kritisch gegenüber Staatseingriffen, welche diese Ordnung stören oder mit ihr brechen wollten. Für Locke, Smith und Hayek besteht die staatliche Aufgabe darin, die informelle Regeln in formelle umzuwandeln und diese rechtssicher zu machen. John Locke, den die meisten als den Philosophen des Naturrechts in Erinnerung haben, prägte die Idee, dass Menschen Freiheit brauchen, weil sie einem natürlichen Zustand entspricht. Ebenso natürlich ist diese Freiheit begrenzt durch die der anderen Menschen. Damit etabliert sich ein trade-off von Freiheiten. Dieser trade-off selbst ist eine spontane Ordnung, die sich etabliert, je nachdem, wo ich die Menschen treffen.
In Virginia fällt sie anders aus als in London. Doch für Locke war dieses natürliche Recht alles andere als Beliebigkeit. Es war natürlich gegeben, natürlich erkenntlich und entsprechend umzusetzen. Es galt für alle gleich und musste für alle gleich umgesetzt werden. Adam Smith folgte diesen Prämissen und konstruierte daraus prozedurale Rechte des einzelnen gegenüber dem Staat. Wirtschaftliche Freiheit, Eigentumsgarantie und das Recht der freien Wahl des Geschäftspartners schienen für Smith Teile dieser natürlichen Ordnung zu sein. Wo diese Freiheitsrechte auch klar etabliert und staatlich garantiert oder geschützt werden, dort blüht eine Wirtschaft auf, die Wohlstand und Wohlfahrt für die Menschen schafft. Letztlich teilte auch Hayek die Ansicht, dass Institutionen wesentlich für die Performance der Wirtschaft und Gesellschaft sind. Im Weg zur Knechtschaft stellt er heraus, dass Freiheit und Rechtsstaat einen engen Zusammenhang zum freien Markt haben.
Dabei stritt Hayek ebenso wenig wie Adam Smith die Notwendigkeit des Staates ab. Im Gegenteil: Er hält den Rechtsstaat für den Garanten der Freiheit. Der Rechtsstaat ist nichts anders als das explizit gemachte Geflecht von impliziten Institutionen, die Freiheit und Gleichheit der Menschen garantieren. Der Rechtsstaat, so Hayek, kommt selbst aus der spontanen Ordnung und funktioniert nur, wenn er sich nach ihr orientiert. Die «richtige» Aufstellung des «richtigen» Rechtsstaates, der «richtig» funktioniert würde so für Freiheit sorgen und diese Freiheit würde des den Menschen ermöglichen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, Wohlstand zu schaffen und die Lebensqualität zu erhöhen. Kurz gesagt: North, Locke, Adam Smith und Hayek würden sagen: Institutions Matter! Es gibt aber ein Problem:
Sie liegen falsch.
Für alle Fans hier im Raum. Sie liegen nicht ganz falsch. Aber alle haben die Tendenz, einen wichtigen Faktor unter zu gewichten: Den Menschen. Institutionen sind nie vom Menschen unabhängig. Denn die Institutionen, die spontan entstehen, entstehen durch die Menschen, die in ihrem Verhalten diese Institutionen zu Lichte bringen. Die spontane Ordnung ist niemals von den Personen unabhängig, die sie verrichten. Und auch bei den expliziten Institutionen, etwa den Verwaltungseinheiten des Staates, geht es um Menschen. Menschen bedienen sie, Menschen treffen Entscheidungen für und über diese Institutionen.
Elinor Ostrom hat genau den Zusammenhang von Institutionen und Personen recherchiert. Ihr Haupterkenntnisse sind einfach zusammenzufassen. Institutionen verändern sich ständig, weil sie von Personen aber auch von Personenzusammenschlüssen geprägt sind. Implizite Institutionen sind nicht notwendigerweise weniger performant als explizite. Die Allmende im Alpenraum wurden fast immer über implizite Organisationen gesteuert und sind performanter als die staatlichen Institutionen etwa in Brasilien, wo der Staat Regeln erfindet, die weder der spontanen Ordnung entstammen noch naturrechtlich begründet sind noch überhaupt Institutionen abbilden, welche die Leute für wichtig halten.
Doch umgekehrt können implizite Organisationen von Personen eingesetzt werden, um gut funktionierende staatliche Institutionen auszuhöhlen. Man denke etwa an den Marsch durch die Institutionen der politischen Linke. Mit gezielter Personalpolitik ging es den Linken, links denkende Personen als Schullehrer oder Wettbewerbsrichter zu
platzieren, damit diese ihre politische Ausrichtung den Institutionen aufbürden. Man muss sagen, das ist ihnen gelungen. Gertrude Anscombe hat entsprechend gefolgert, dass die Benützung der Institutionen eben nicht nur von den Institutionen selbst abhängt, sondern vom einzelnen Individuum, der sie benützt. Mit ihren Forschungen zur Tugend belebte sie die Tugendethik wieder. Leider ist das Wort Tugend vom Woke-Wahnsinn Geisel genommen worden. Statt Tugend kann man auch von Charakterstärke sprechen. Denn darum geht es Anscombe.
Es reicht nämlich nicht aus, dass Institutionen aufgestellt werden. Sie sind vergänglich. Sondern alle Menschen, als Individuen, sind aufgerufen, das «richtige» Funktionieren der Institutionen einzuverlangen und für die einzustehen. Dafür braucht es Charakterstärke. Anders gesagt: Der liberale Rechtsstaat darf nicht alleine seinen Institutionen überlassen werden. Er braucht Liberale, die sich mit Charakterstärke dafür einsetzen, dass die Institutionen funktionsfähig bleiben.
Der Nobelpreisträger Vernon Smith, der diesem Preis seinen Namen gibt, forscht seit längerer Zeit über ein Projekt, dass er «Humanomics» nennt. Er will damit den Menschen wieder in den Mittelpunkt der ökonomischen Theorie aber auch der Gesellschaft mit ihren Institutionen stellen. Was heisst das?
Auf der einen Seite geht Vernon Smith dem Subjektivismus und dem Individualismus nach. Doch mehr als das stellt er sich auch die Frage, welche Charakterstärke der Mensch hat, wie der Mensch diese Charakterstärke in seinen kommerziellen und anderen sozialen Beziehungen einsetzt und wie aus der Charakterstärke vieler ein gemeinsamer Modus operandi ensteht. Freilich will auch er wissen, welche Charakterstärken den Menschen ermöglichen Wohlstand und Lebensqualität zu schaffen und ob diese Charakterstärken ein soziales Ganzes, vielleicht sogar einen Staat bilden können. Wichtig ist aber, dass Vernon Smith erkennt, dass die Gleichungen der ökonomischen Theorie oder die Institutionen der politischen Ökonomie – dazu zählen das Recht und den Rechtsstaat – vergänglich ist. Sie sind zufällig und vom Menschen abhängig. Der Mensch treibt Gemeinschaft, Gesellschaft und Staat voran und diese drei sind von ihm abhängig. Wer die Wirtschaft oder die Institutionen studieren will, tut also gut daran, den Menschen und seine Charakterstärken zu studieren. Wer Freiheit und Rechtsstaat garantieren will, muss sich mit den Charakterstärken des Menschen auseinandersetzten.
What do I conclude:
First, the rule of law is also – or even foremost – about people. Or: People and their strengths of character matter much more than institutions. Second, young people thinking about being classical liberals. It pays off. In each slide I showed, at least one person got a Nobel prize as a classical liberal, except for the toy story. But the movie won an Oscar, and its main character is played by an actor who self-describes a classical liberal.
This speech was given at the XVI. Vernon Smith Prize award ceremony in February 2024.