Vivien Kellems: Frau gegen Staat
Man warf ihr vor: „Wer die USA liebt, kann nicht gegen Steuern sein.“ Sie antwortete keck: „Wer das amerikanische Volk liebt, kann nicht für Steuern sein.“ Vivien Kellems Kampf war gegen die Steuer. Und gegen andere Ungleichbehandlungen.
„Unsere Freiheiten existieren, weil Leute bewusst die Gesetze gebrochen haben, wenn ihr Gewissen es so verlangte.“ Vivien Kellem (1896 – 1975) war eine erfolgreiche Geschäftsfrau und eine erfolglose Politikerin. Doch das machte ihr nichts. Sie wollte nämlich kämpfen. Auf verschiedenen Kampffeldern. Möglichst gleichzeitig.
Nach ihrem Studium der Ökonomie tat sich sich mit ihrem Bruder zusammen und gründete eine Firma. 1000 Dollar eigenes Geld und 1000 Dollar Schuld waren der Boden für ein Unternehmen, das schon bald mehrere hundert Angestellten haben sollte. Ihr Produkt: Kabelständer. Ihre Innovation: Hergestellt aus Abfällen anderer Produktionslinien.
Frau gegen Feministinnen | Kellem war eine Kämpferin für die Freiheit des Individuums. Das war Zunächst die Gleichberechtigung der Frauen. Nach ihr sollten alle Menschen die gleichen Rechte haben. In den 1920ern und 30ern war sie auch nicht alleine. Denn die US-amerikanische Frauenbewegung war stark. Präsident Roosevelt erliess dann auch ein Gleichberechtigungsgesetz, das von der feministischen Bewegung bejubelt wurde.
Kellem jubelte nicht. Denn das Gesetz war ein sozialstaatliches Regelwerk. Es sah Zahlungen an Frauen vor, die Pflicht für Unternehmen, Frauen anzustellen und baute eine separate Frauensozialhilfe auf. Das war Kellem gleichzeitig zu viel und zu wenig. Es war zu viel des Sozialstaates, den sie insgesamt ablehnte. Und es waren zu wenig der politischen Rechte. „Wenn wir in Fabriken hocken und Munition bauen können, dann können wir auch am Verhandlungstisch des Friedens sitzen.“
Frau gegen Steuer | Doch nicht nur mit den Feministinnen ihrer Zeit legte sie sich an. Ihr lebenslanger Kampf war gegen die amerikanische Steuerbehörde, dem Internal Revenue Services IRS. Um Steuerhinterziehung während des zweiten Weltkriegs zu vermeiden, wurde in den USA die Quellensteuer eingeführt. Arbeitgeber sollten die Steuer direkt ab dem Lohn der Arbeitnehmenden abziehen, zurückbehalten und sie der IRS abliefern. Kellem weigerte sich das zu tun.
Das hatte zwei Gründe: Erstens sah sie es nicht als Aufgabe eines Unternehmens, Hilfssteuervogt zu werden. Zweitens glaube sie am Individuum. Jeder sollte selber Steuer bezahlen oder hinterziehen können. Was ein Joe macht, ist nicht einer Mariah ihre Sache. Doch das IRS kannte keine Gnade. Ein Teil ihres privaten Vermögens wurde statt der Quellensteuer beschlagnahmt. Auch Kellem kannte keine Gnade und verklagte Bundesstaat und IRS sowie die einzelnen Steuersekretäre persönlich. Das wollte aber Weile haben.
Frau gegen Roosevelt | Während des zweiten Weltkriegs getrauten sich viele Amerikaner nicht, den Staat und den Präsidenten zu kritisieren. Nicht so Kellem. Für sie war Roosevelt ein Versager: Er führte den Sozialstaat ein und entmündigte die Bürgerinnen und Bürger. Er liess die Steuern bis zu einem Grenzsatz von 90% ansteigen und enteignete Volk und Unternehmen. Er überhäufte die Sowjetunion mit Freundlichkeit, Geld sowie Gütern und riskierte somit die Sicherheit der Vereinigten Staaten. „Merkt Euch: Bald wird die Sowjetunion eine tödliche Gefahr für uns und für die freie Welt darstellen.“
Das Regime kannte nichts: Ihre private Korrespondenz wurde von der zentralen Zensurstelle – ja Roosevelt hatte eine instituiert – durchgelesen. Der sich offen als sozialistisch bezeichnende Minister Henry Morgenthau und sein Untersekretär Harry Dexter White (später wurde er als sowjetischer Spion enttarnt) wollten sie gar des Landesverrats anklagen. Doch als die Korruption des Roosevelt-Regimes publik wurde und die feministische Bewegung sich – endlich – hinter Kellem stellte, liess man die Sache fallen.
Frau gegen Truman | Als der Krieg zu Ende war, wurde Harry Truman neuer Präsident. Auch er hielt an einer expansiven Fiskalpolitik fest. Und um diese zu bezahlen, stellte er weiterhin auf die Quellensteuer ab. Kellem ging auf die Barrikaden. Im nationalen Fernsehen sagte sie selbstbewusst: „Wenn High Tax Harry will, dass ich für ihn Steuern eintreibe, muss er mich als Steuersekretär anstellen, mich dafür bezahlen und mir einen Ausweis geben.“ Und: „Quellensteuer ist nur da, um das Wachstum des Staates und seiner gierigen Bürokratie zu verstecken.“
Als das IRS sie nochmals mit einer Klage drohte, schrieb sie den Präsidenten – und der Öffentlichkeit: „Sehr geehrter Herr Präsident; bitte verklagen sie mich.“ Truman und das IRS getrauten sich nicht, es zu tun. Übrigens: Ihre ersten Klagen gegen das IRS gewann sie in 1951. Doch das Bundesgericht entschied sich gegen sie in 1973. Ihr Kampf gegen das IRS hielt sie im Buch fest: „Toil, Taxes, and Trouble.“
Frau gegen das System | Kellem hat immer wieder im Bundesstaat Connecticut kandidiert. In den Jahren 1952, 1956 und 1958 wollte sie in den Senat, zunächst für die republikanische Partei, dann aber als Unabhängige. Sie gewann nie mehr als 2,5% der Stimmen. Doch selbstbewusst wie sie war, bemerkte sie: „Ich kandidiere nur, um die Männer zu erziehen.“
Die Frau mit Rückgrat aus Stahl lebte lange genug. Und so stellte sie gegen Ende des Lebens mit Sorge fest: „Roosevelt war schlimm. Und alle anderen Präsidenten seit ihm waren mini-Roosevelts. Ob eine Frau als Präsidentin besser wäre, weiss ich nicht. Aber schlechter kann es gar nicht werden.“ Ob sie Recht hat?
*Henrique Schneider is a native of Switzerland and studied economics at the universities of St. Gallen (CH), Johns Hopkins (USA) and at Qingdao in China. He is currently the Chief Economist of the Swiss Federation for Small and Medium Enterprises (Schweizerischer Gewerbeverband (sgv).